Plötzlich war der Sommer zurück im nasskalten Budapest. Als Robin Koch den Ball nach dem Schuss von Mihály Kata in der Nachspielzeit der Nations-League-Partie in Ungarn an den Arm bekam und der Schiedsrichter nach Ansicht der Videobilder auf Elfmeter entschied, kam nicht nur bei Julian Nagelsmann die Erinnerung an das Viertelfinale bei der Europameisterschaft und das Handspiel des Spaniers Marc Cucurella auf. Seinerzeit gab es keinen Strafstoß für die deutsche Elf, nun einen gegen Deutschland. Und Nagelsmann verstand die Fußballwelt nicht mehr.
Der Bundestrainer suchte, nachdem Dominik Szoboszlai zum 1:1 verwandelt hatte, das Gespräch mit dem kroatischen Schiedsrichter Duje Strukan. „Ich habe ihn gefragt, ob er das Spanien-Spiel angeschaut hat.“ Zunächst habe er nicht ganz verstanden, was Nagelsmann wollte, schnell war aber auch dem Bundestrainer klar: „Natürlich hat er es angeschaut.“ Mehr noch als die Entscheidung des Unparteiischen störte Nagelsmann die Rolle des Videoassistenten: „Ich finde es Wahnsinn, dass er rausgeschickt wird. Das ist der Fehler“, sagte er in einer ersten Reaktion im ZDF.
Etwas später hatte Nagelsmann reflektiert: „Am Ende habe ich ihn schon ein bisschen attackiert, wobei er mir im Nachgang auch leidtut.“ Das Problem liegt seiner Sicht nach nicht beim Schiedsrichter, sondern beim Videoassistenten. „Er wird rausgeschickt für eine in meinen Augen von ihm richtig bewertete Situation. Mich ärgert, dass ein VAR da ist, dass man klare Fehlentscheidungen anschauen kann. Das ist eine supercoole Erfindung. Nur wenn es halt keine klare Fehlentscheidung ist, dann soll der nicht Fernsehen schauen da draußen, sondern einfach das Spiel weiterlaufen lassen.“
„Er wird brutal unter Druck gesetzt“Der Bundestrainer vertrat gar die These, dass die gleiche Szene bei einem Heimspiel nicht gegen die Deutschen gepfiffen worden wäre. „Durch das Herausschicken wird er brutal unter Druck gesetzt, weil das Stadion laut wird. Dann steht er 45 Sekunden, das kam ihm wahrscheinlich vor wie eine Viertelstunde, er kriegt Druck ohne Ende.“ Nun solle man die Szene umdrehen: „In München hätte der das niemals gepfiffen.“ Letztlich schade man mit der Handhabe vor allem dem Schiedsrichter.
Nagelsmann erinnerte an eine Szene aus dem EM-Achtelfinale, als Deutschland profitierte. „Gegen Dänemark war das niemals ein Elfmeter.“ Seinerzeit hatte der Ball bei einer Flanke von David Raum die Fingerspitzen eines Gegenspielers berührt. „Da war ich auch offen und habe gesagt, dass ich ihn nicht gegeben hätte. Das heute war noch weniger.“ Koch habe sich weggedreht und den Arm zurückgezogen. „Das ist einfach auch skurril. Da kann keiner mitkommen. Selbst die Schiedsrichter nicht. Da kann man ihm helfen und sagen: ‚War keine klare Fehlentscheidung, weiter geht’s.‘“
Auch die deutschen Spieler haderten mit dem Strafstoß, der nach der Führung durch Felix Nmecha aus der 76. Minute zum Ausgleich durch Szoboszlai führte, der den Ball beim Strafstoß in die Mitte des Tores von Alexander Nübel lupfte. „Da haben wir wieder das Handproblem. Wo soll er hin mit seiner Hand? Er versucht sie wegzuziehen, er kriegt sie von einem Meter mit 100 km/h angeschossen. Am Ende ist es ärgerlich, auf jeden Fall“, sagte Robert Andrich. Nmecha reagierte mit Unverständnis, als er die Szene sah: „Boah, die Hand ist an seinem Körper.“
Am Ende nahm Nagelsmann die Entscheidung doch mit etwas Humor. „Ich bin mal gespannt, was die UEFA dazu dann in vier Monaten veröffentlicht“, sagte er und spielte auf eine interne Bewertung des europäischen Verbandes an, die nach außen drang, aber nie öffentlich kommentiert wurde. Damals wurde die Situation mit Cucurella im EM-Spiel als Fehlentscheidung eingeschätzt – davon hatten die Deutschen nachträglich nichts mehr, außer dass der Verband so einigen Spott auf sich zog. Diesmal dürfte die Sache, bei allem Ärger vom Dienstagabend, schneller vergessen sein.