Nach dem Spiel kamen zwei Landsmänner raus. Robert Lewandowski und Wojciech Szczęsny standen auf dem Rasen vor Szymon Marciniak und seine Assistenten und quatschten über die Entscheidungen des polnischen Schiedsrichterteams. Nicht nur der Stürmer und der Torwart des FC Barcelona hatten Fragen, sie konnten ihre immerhin in der Muttersprache loswerden. Die Antworten halfen ihnen aber auch nicht: Barcelona schied durch das 3:4 nach Verlängerung im Halbfinal-Rückspiel der Champions League bei Inter Mailand aus. Das hatte viele Gründe. Einer, über den nicht nur im Spiel, sondern auch danach ausführlich im Lager der Katalanen – nicht nur bei Lewandowski und Szczęsny – diskutiert wurde, waren vier Entscheidungen.

Hansi Flick, der nach Inters Ausgleich zum 3:3 in der Nachspielzeit von Marciniak die Gelbe Karte bekam, versuchte, sich nicht zu sehr einzuschießen; es gelang leidlich: „Ich möchte nicht zu viel über den Schiedsrichter sagen“, sagte Barcelonas Trainer in der Pressekonferenz zunächst. „Ich denke, jede seiner 50:50-Entscheidungen war zu ihren Gunsten. Das macht mich traurig.“ Später wurde Flick noch einmal nach Marciniaks Leistung befragt. „Ich spreche nicht gerne über den Schiedsrichter“, setzte der frühere Bundestrainer abermals an. „Ich habe ihm gesagt, was ich denke. Aber ich sage es hier nicht.“ Zu viel über den Schiedsrichter zu reden, sei unfair „gegenüber meiner Mannschaft, die einen tollen Job gemacht hat“, sagte Flick noch. Er sei nach dem Ausscheiden im Halbfinale nun zwar „enttäuscht, aber nicht wegen der Leistung der Spieler. Sie haben alles versucht.“ Aber worum ging es genau? Barcelona monierte gleich vier Entscheidungen Marciniaks.

26. Minute: Nach einem Pass von Pedri vor das Inter-Tor will Francesco Acerbi den Ball abwehren. Im Fallen springt er ihm an den Körper. Barcelona sieht ein Handspiel. Marciniak lässt zunächst weiterspielen. Der niederländische Video Assistant Referee (VAR) Dennis Higler und dessen Assistent Pol van Boekel sehen sich die Szene an. Ein Handspiel ist nicht zu erkennen. Acerbi bekommt den Ball an die Schulter.

43. Minute: Lautaro Martínez rennt mit dem Ball in den Barcelona-Strafraum, Abwehrspieler Pau Cubarsí hinterher. Der Spanier geht viel Risiko ein, grätscht nach dem Ball. Der springt nach dem Einsatz gegen Martínez nach links weg, der Stürmer fällt. Marciniak bedeutet, Cubarsí habe den Ball gespielt bei seinem robusten Einsatz.

Wieder schaut sich der VAR die Szene an – und rät Marciniak, das auch zu tun. Lange braucht er nicht für seine Entscheidung: Elfmeter. In der Zeitlupe erkennt er, dass Cubarsí mit seinem rechten Bein nicht den Ball, sondern zuerst den Fuß des Gegners trifft, was dazu führt, dass der Ball so wegspringt, wie es nach einer Grätsche von rechts üblich ist. Hakan Çalhanoğlu nutzt den Elfmeter zum 2:0 für Inter.

68. Minute: Nach einem Ballgewinn rennt Lamine Yamal Richtung Inter-Strafraum und wird von Henrich Mchitarjan zu Fall gebracht. Marciniak pfeift und zeigt auf den Elfmeterpunkt. Am Foul selbst gibt es schnell keinen Zweifel. Aber passiert es wirklich im Strafraum? Wieder meldet sich der VAR, schaut sich die Szene an und signalisiert dem Unparteiischen über Funk: kein Elfmeter, der Kontakt des Inter-Spielers war knapp vor der Strafraumlinie. Marciniak sieht die Bilder nicht selbst. Der folgende Freistoß bringt Barcelona nichts ein.

90.+3 Minute: Beim letzten Inter-Angriff der regulären Spielzeit setzt Denzel Dumfries ein Bein vor den Ball. Abwehrspieler Gerard Martín fällt darüber. Marciniak pfeift nicht, Dumfries Hereingabe schießt Acerbi zum 3:3 ins Tor. Barcelona beschwert sich, auch Flick. Die Inter-Spieler jubeln zudem genau vor der Bank der Katalanen. Aber auch der VAR hat kein Foul gesehen. Es gibt Verlängerung.

In der schießt Davide Frattesi das 4:3 für Inter, Barcelona scheidet aus. „Der Fußball war sehr grausam zu uns“, sagt Eric García und spielte nicht nur auf den Spielverlauf an, sondern auch die Entscheidungen – und eine Vorgeschichte. Am 4. Oktober 2022 spielte Barcelona ebenfalls bei Inter Mailand, verlor in der Gruppenphase der Champions League mit 0:1 und echauffierte sich ebenfalls über den Unparteiischen.

Slavko Vinčić erkannte den Ausgleich von Pedri zum 1:1 wegen eines Handspiels von Ansu Fati nicht an. In der Nachspielzeit berührte Inter-Spieler Dumfries den Ball mit der Hand. Der VAR checkte die Szene, sah aber kein strafbares Handspiel. Vinčić sah sich das selbst nicht noch mal an und ließ weiterspielen. Der damalige Barcelona-Trainer Xavi schimpfte: „Dafür gibt es kein anderes Wort als Empörung!“

Das Rückspiel vom Dienstag riss die alte Wunde offenbar wieder auf, selbst wenn viele Spieler und Flick seinerzeit gar nicht dabei waren.

Barcelona-Profi Martínez bestreitet Spuckattacke

Barcelonas Abwehrspieler Iñigo Martínez hat nach dem Aus gegen Inter Mailand eine Spuckattacke im Champions-League-Halbfinale gegen Francesco Acerbi dementiert. „Nein, er hat direkt in mein Ohr gejubelt, und ich wurde wütend. Das Anspucken war überhaupt nicht auf ihn gerichtet“, sagte Martínez nach dem 4:3-Erfolg von Inter Mailand. Die Szene hatte sich nach dem Strafstoß zum 2:0 für die Italiener abgespielt.

Schiedsrichter Szymon Marciniak beließ es nach Rücksprache mit dem Videoassistenten bei einer Ermahnung. Martínez betonte, dass der Unparteiische die Szene richtig eingeordnet habe. „Ich wäre sofort des Feldes verwiesen worden, wenn die Spucke auf ihn gerichtet gewesen wäre“, sagte der 33 Jahre alte Innenverteidiger des FC Barcelona. Möglicherweise wird die UEFA den Vorfall noch einmal prüfen. (dpa)