Am kommenden Wochenende versammelt sich die Elite der nordischen Skisportler wie zuletzt immer Ende November im Wintersportzentrum Ruka im finnischen Norden. Die Skispringer reisen zu ihrer bereits zweiten Wettkampfstation von Lillehammer aus an, für die Kombinierer und Langläufer jedoch beginnt am Samstag die Weltcup-Saison in der Region Nordösterbotten, nahe der russischen Grenze.
Vor allem die deutschen Langläufer haben im vergangenen Winter ihre Leistungen deutlich verbessert, Friedrich Moch etwa belegte bei der stark besetzten Tour de Ski Rang zwei. Bei den Frauen überzeugte Victoria Carl mit einem Weltcup-Sieg in Trondheim über zehn Kilometer im klassischen Stil, hinzu kamen drei zweite Plätze, einmal wurde sie zudem Dritte, und in der Weltcup-Gesamtwertung belegte sie Position vier.
Peter Schlickenrieder, 54 Jahre alt, ist seit 2018 Bundestrainer der deutschen Langläufer und in dieser Funktion zuständig für Männer und Frauen. Im vergangenen Sommer lag sein Fokus darauf, bei seinen Athleten Defizite bei anspruchsvollen Streckenprofilen abzumildern. Aber auch darauf, ihnen „zuzuhören, um zu erfahren, was sie bei sich an Verbesserungspotenzial erkennen“. Ihm gehe es dabei „um Kommunikation, Ermutigung, Bestärkung“, sagt er. Manchmal komme es dabei durchaus zu Herausforderungen, etwa, „wenn eine Sportlerin oder ein Sportler mit Ideen um die Ecke kommt, die ich als abgefahren betrachte“. Doch diese Momente bauche man: „Nur so entwickeln wir uns weiter.“
Zwar sagt Schlickenrieder vor dem Weltcup-Start in Ruka, dass er nicht von jedem einzelnen Athleten erwarten könne, das Podium anzugreifen. Doch sieht er besonders bei den Frauen drei, vier Athletinnen, mit Katharina Hennig und Victoria Carl an der Spitze, die um einen Platz unter den ersten Drei kämpfen können. „Bei den Männern sind Lucas Bögl und Friedrich Moch bereit.“
Katharina Hennig sei im Verlauf des Winters in der Lage, „Rennen zu gewinnen“, sagt Schlickenrieder. Für ihn besitzt Hennig „die beste Klassik-Technik“: Am Berg kann ihr keine Konkurrentin etwas vormachen.“ Für die 28-Jährige komme es nun auf Nuancen an, „das Lesen der Strecke, die Verbesserung ihrer Sprintfähigkeit und ihrer taktischen Renneinteilung“.
Bei Victoria Carl, gemeinsam mit Hennig 2022 in Peking Olympiasiegerin im Teamsprint, rechnet Schlickenrieder mit einem weiteren Entwicklungssprung. Die 29-Jährige zeichne ein besonders großer Wille aus. Wenn Schlickenrieder etwa nachfragt, wie Carl denn ihren Ruhetag verbracht habe, „kommt lange keine Antwort“. Dann wisse er, „dass sie doch wieder trainiert hat. Sie betreibt einfach einen riesigen Aufwand.“
Die Thüringerin selbst sagt: „Es ist definitiv so, dass ich sehr ehrgeizig bin.“ Sie habe für sich in diesem Sommer bewusst nach einer weiteren Möglichkeit gesucht, ihre Leistung zu steigern. „Deshalb bin diesmal verstärkt ins Höhentraining gegangen.“
„Sie zieht das durch“Drei Wochen war sie in Lenzerheide, auf 1600 Metern, zwei Wochen am Grimselpass in Goms, 2100 Meter über dem Meeresspiegel. Das Besondere jedoch sei die Form der Regeneration gewesen, sagt Schlickenrieder. Im Sommer habe Carl auch eine Regenerationswoche in der Höhe verbracht.
„Gibt es etwas Langweiligeres, als allein auf einer Passhöhe zu sein, in einem Hotel, in dem sonst kein Mensch ist, eine Woche lang? Sie aber zieht das durch.“ Auch Extratraining im Schnee mit Skitouren im Pitztal habe sie absolviert, „um ihre Technik zu verbessern“.
Bei Massenstartrennen war Victoria Carl zuletzt immer sehr nervös, „die vielen Athletinnen in der Startzone haben bei ihr ein wenig Panik ausgelöst“, sagt der Bundestrainer. „Was macht sie? Fährt im Sommer von Massenstart-Wettkampf zu Massenstart-Wettkampf, von der Schweiz nach Frankreich, von Frankreich nach Norwegen und Schweden.
Weil sie das für sich als Herausforderung erkannt hat.“ Ganz entspannt sei sie allerdings immer noch nicht vor dem Startschuss, erzählt Carl, „aber mit jedem Training in diesem Bereich werde ich lockerer“. Für die Thüringerin steht in dieser Saison vor allem die WM in Trondheim im Blickpunkt, die Ende Februar beginnt: „Das ist mein Fokus in diesem Winter.“
Beim Versuch, in der Loipe erfolgreich zu sein, müssen Carl & Co. vor allem auf die Norweger Acht geben. Vor allem bei den Männern sind die norwegischen Athleten seit Jahren in Teamstärke in der Lage, Rennen zu gewinnen. Die Ausbildung der späteren Top-Stars werde in Skandinavien laut Schlickenrieder mit einem ganzheitlichen Plan bereits in der Schulzeit gelegt. „In Schweden etwa gibt es allein 18 Schulen für talentierte Skisportler. Die Skandinavier sind uns grundsätzlich in Bezug auf die Verankerung des Sports in der Gesellschaft weit voraus“, sagt Schlickenrieder. In Deutschland gebe es zwar durchaus viele am Langlauf interessierte Schüler und Jugendliche: „Wir müssen uns aber die Frage stellen, wie man sie alle optimal fördert, ohne dass junge Menschen im Laufe der Zeit die Lust verlieren.“
Wieder dabei im Kreis der Weltcup-Starterinnen ist in diesem Winter der alpinen Comebacks um Marcel Hirscher, Lucas Braathen und Lindsey Vonn in der Norwegerin Therese Johaug auch eine Ikone des nordischen Skisports. Die Langläuferin ist 14-malige Welt- und viermalige Olympiasiegerin.
Johaug ist für Bundestrainer Peter Schlickenrieder das Idealbeispiel einer Athletin mit perfektem Mindset – „sie kehrt nicht aus finanziellen, sondern aus intrinsischen Motiven zurück.“ Was Fleiß und Ehrgeiz angeht, sei Victoria Carl mit einer vergleichbaren psychischen Konstitution ausgestattet. Und wie blickt die Thüringerin selbst auf Johaugs Rückkehr? „Jede ist schlagbar“, sagt Carl. „Sie auch.“