Zu früh gefreut. Der Ferrari-Mechaniker deutete mit dem gestreckten Finger auf den Bildschirm in der Box, als wolle er seinem Piloten sagen: „Du bist mein Mann, Charles!“ Da hatte Charles Leclerc im Qualifying der Formel 1 am Samstag für den Großen Preis von Monaco gerade die Bestzeit produziert. Aber zwei waren noch unterwegs. Einer schaffte es gerade so vorbei: Lando Norris im McLaren, um etwa eine Zehntelsekunde schneller. Der zweite, Oscar Piastri musste sich mit Rang drei begnügen. Leclerc in der Zange? Nicht doch. Der Monegasse wirkte anfangs enttäuscht, weil er am Freitag und Samstag – erstaunlich – fast nach Belieben die Zeitenlisten angeführt hatte und erst im zweiten Durchgang des Startplatzrennens erstmals überflügelt wurde – von Norris.
Eine kleine Überraschung. Nicht, dass ein McLaren, bestes Auto, das Rennen um die Pole-Position machte, nein. Aber Lando Norris, der Empfindsame, der offenherzige Zweifler, mitunter an sich selbst? Jenen, das Schweigen zu Schwächen als notwendige Härte betrachten für Erfolg, gibt der 25-jährige zu denken. Norris legt immer wieder zu. Sein Platz an der Sonne beim Start ist die Premiere für ihn in Monaco nach 135 Grand Prix mit zehn Pole-Positionen und fünf Siegen. „Heute war das erste Mal seit Australien (Saisonstart/d. Red.), dass ich alles zusammengekriegt habe“, sagt Norris: „Es fahre nicht plötzlich schneller, aber vielleicht ein bisschen klüger. Ein sehr schöner Moment.“
So eine Würdigung kam Max Verstappen am Samstag nicht über die Lippen. Nach dem Sieg vor einer Woche in Imola sah er die Chance, McLarens Duo mit dem WM-Führenden Piastri sehr nahe zu kommen (Abstand 22 Punkte) im Red Bull. Aber als Fünfter mit reichlich Rückstand (0,7 Sekunden über die Runde) wähnte sich der Champion eher als Verlierer. Schlimmeres erlebte Mercedes, ein Desaster. Der 18-jährige Kimi Antonelli schied im ersten Durchgang als 15. aus, weil er in der Hafenschikane die Leitplanke touchierte und die Kurve nicht schaffte. Beim Einschlag erlitt der Italiener keine Verletzung, aber die vordere linke Radaufhängung brach. Feierabend.
Russell im Schiebemodus aus dem TunnelGeorge Russells Silberpfeil rollte zu Beginn der zweiten Runde nach einem Problem der Stromversorgung halbwegs antriebslos in den Tunnel. Heraus kam er im Schiebemodus: Acht Streckenposten legten Hand auf dem Weg zum Notausgang. Wie erwartet reichte es für Nico Hülkenberg nicht zum Sprung in die Top-Ten. Der Rheinländer wurde im Sauber 13., ließ dabei seinen Teamkollegen Gabriel Bortoleto (16.) hinter sich. Kimi Antonelli touchierte in der Hafenschikane die LeitplankeEPABei Ferrari lief es dagegen fast wie am Schnürchen. Warum die plötzliche Wende? Das Qualifying in Imola vor einer Woche führte zu einem Debakel: Leclerc Elfter, Lewis Hamilton Zwölfter. Das Auto nicht tauglich für gute Platzierungen beim Sprint durch die teils „schnellen“ Kurven in der Emilia Romagna. Und so erzählte Leclerc am Donnerstag beim Blick vom Fahrerlager in Monaco auf die Strecke in seiner Stadt die Geschichte vom unbekannten Boliden, von der „guten Seite“ des Autos, die man hoffentlich „entdecken“ werde. Ein Understatement? Wussten seine Ingenieure nicht, was das Fürstentum zu bieten hat? Kaum zu glauben angesichts der akribischen Vorbereitung Wochen im Voraus. Die „langsame“ Strecke hinauf zum Casino, hinunter zum Tunnel, am Hafenbecken entlang verengt die Varianten bei der Abstimmung der Rennwagen in einem positiven Sinne. Kleiner Rennwagen vor großen Yachten: Der Grand Prix der Schönen, der Reichen und ganz schön ReichenAFPEs gibt nicht viel Spielraum für Kompromisse, wie sie auf Pisten mit langen Geraden und verwinkelten Passagen nötig sind, um sehr schnell über die Runde zu kommen. Der Ferrari ist kein Rennwagen für alle Fälle, aber in Monaco reicht der Anpressdruck über die Flügel und eine gute, mechanisch erzeugte Traktion für den Anspruch der Italiener. Die zweibeste Rundenzeit wurde daraus, weil der einzige Monegasse im Feld seine besondere Ortskenntnis ausspielte, die besondere Beziehung. Leclerc rannte schon als Pennäler den Kurs entlang, ehe er sein Herz für die Tücken der Schleife im Renntempo der Formel 1 entdeckte. Im Ferrari lief es anfangs nicht daheim. Mal bremste ihn ein Unfall auf dem Weg zum Sieg, mal die Strategiefehler der Scuderia. Erst 2024 begrüßte Fürst Albert II. den Sohn der Stadt als Sieger, 93 Jahre nach dem letzten Grand-Prix-Triumph eines Monegassen (Louis Chiron 1931). „Ich glaube“, sagte Leclerc, „das heute nicht mehr drin war. Mal sehen, was im Rennen möglich ist.“Nasenwechsel bei Hamiltons FerrariVom größten Glück ist Ferrari zwar noch entfernt, aber Rang vier für Lewis Hamilton dokumentiert den Sprung der Scuderia zu zweitstärksten Kraft im Feld – in Monaco. Hamilton liebt die Strecke, wo seine Karriere in der Formel 1 den rechten Schwung bekam. 1997 attackierte er im Fürstentum seinen ersten Teamkollegen im McLaren, den zweimaligen Weltmeister Fernando Alonso. Der Spanier hatte die Führungsfigur spielen sollen. Hamilton vertrieb ihn mit Tempo und ließ 105 Siege folgen. „Ich kann es kaum glauben, dass ich jedes Jahr hier fahren darf. So eine Freude, eine Privileg“, sagte der Engländer. Beinahe hätte er sich selbst aus dem Rennen genommen beim 18. Auftritt. Im dritten Training schoss er am Samstagmittag mit Karacho zum Casino hinauf, als zwei deutlich langsamere Kollegen im Linksbogen vor ihm auftauchten. Der Ferrari brach nach rechts aus und touchierte die Leitplanken. Bis zum Start des Qualifyings hatten die Mechaniker viel zu tun: Nasenwechsel, neuer Frontflügel, die hinteren Radaufhängungen gewechselt und ein neues Getriebe eingebaut. Starten wird Hamliton aber nur von Position sieben. Der Brite hatte Weltmeister Max Verstappen im Qualifying behindert und wurde deshalb um drei Positionen nach hinten versetzt. Verstappen startet somit als Vierter in den Großen Preis. Neue Monaco-Regel verändert StrategiespielVor dem Rennen stellt sich in Monaco nun eine neue Frage: Ob die Pole-Position noch den Wert der vergangenen Jahre hat? Die neue Monaco-Regel, die zwei statt nur eines Boxenstopps samt Reifentyp-Wechsel im Rennen vorschreibt, verändert das Strategiespiel. Über Nacht wird es abhängig von der Startposition ausgeheckt. McLaren könnte mit zwei Strategien, eine für Norris, eine für Piastri, Leclerc unter Druck setzen. Aber je nach Verlauf des Rennens, ob es Unfälle gibt und den Einsatz des Safety-Cars, kann die Zweistopp-Pflicht auch unkalkuliert Glück oder Pech bringen. Nur eines scheint sicher: Dass es keine Bummeltour geben wird mit einem Führenden. Früher neigten der Erste dazu, eine Prozession hinter sich zu inszenieren, um jede Idee eines „Undercuts“ im Keim zu ersticken. Ein Jäger wäre nach einem frühen Boxenstopp zwar mit frischen Reifen potenziell schneller gefahren, aber im Verkehr hängen geblieben angesichts der geringen Überholchance. „Der Führende wird jetzt versuchen, eine Lücke zu öffnen“, sagte Piastri. Deshalb wird es in Monaco mehr als früher auf das Reifenmanagement ankommen. Und wer hält die Haftung im Dauerlauf auf dem nötigen Niveau? Am Freitag war die Antwort nach der Simulation eindeutig: Leclerc im Ferrari.